Hallo,
poltische Themen sind hier nicht einfach zu diskutieren. Dennoch muss ich hier mal meinen Senf dazugeben ... Jetzt wirds mal wieder etwas länger ... ;-)
physioblues":319h6m4b schrieb:
Ich meine, ein wenig mehr Vision, Engagement und Ideal könnte man von Politikern schon erwarten. Auch in einer großen Koalition..
Könnte man. Da selbst diese Koalition kaum noch soviel Stimmen verlieren wird, dass sie nicht in 4 Jahren noch irgendwie zusammen ne Mehrheit stemmen kann, könnte sie eigentlich mal zur Abwechslung eine vernünftige Politik ohne Angst vor Abwahl und Abstrafung durch die Lobbyisten machen. Daraus wird aber leider nix, wie man sieht ... bei der letzten großen Koalition war es ja auch nix ...
physioblues":319h6m4b schrieb:
Auf der anderen Seite hatte ich aber auch gehofft, dass die Studentenschaft so etwas wie eine Reaktion auf die Studiengebühren hinbekommt. Wenigstens den Ansatz einer neuen APO oder ein kleines Stückchen Studentenbewegung.
Aber da bin ich ehrlich enttäuscht. Da läuft nicht wirklich viel. Obwohl die mediale Landschaft ein Entstehen einer Bewegung eher unterstützen würde.
Da täuschst du dich leider gewaltig. Letztes Jahr gab es in D die größten und radikalsten Studentenproteste seit 1968. Das wurde jedoch von den Medien eher stiefmütterlich behandelt und wenn überhaupt, oft verzerrt dargestellt. Wusstest du z. B.,
- dass in Gießen bei einer Gleisblockade ein Student von einem Zug erfasst und schwer verletzt wurde?
- dass in Frankfurt am Main mehrere 100 Studenten festgenommen wurden, weil sie die Autobahn blockiert hatten?
- dass auch in Gießen, Hamburg und anderen Städten Gleise und Autobahnen blockiert wurden?
- dass in Hessen und auch in anderen Bundesländern Verfassungsklagen gegen die Studiengebühren in Vorbereitung sind?
Es ist schon so, dass relativ viel gemacht wurde, leider hat es relativ wenig gebracht. Polizei und Staatsschutz waren in Hessen teilweise wieder etwas übereifrig dabei, Zivilpolizisten auf den Demos, Reiterstaffel das volle Programm eben. Immer wieder wurde versucht, die Proteste zu kriminalisieren, die Studenten einzuschüchtern etc. Die Polizisten taten mir teilweise fast selbst leid bei der Hitze, zumal man ja weiss, dass "Hessen-Hitler" Koch, Bouffier und Konsorten hinter manchen Maßnahmen steckten. Aber wenn man sich so einen Beruf aussucht, muß man mit sowas rechnen - auch mit solch unfähigen Bossen wie Koch und Bouffier. (Der übrigens Kanzlei und Privathaus fast ständig bewachen ließ ... Macht hat auch seine negativen Seiten ;-) )
Die Medien hoben z. B. nur die Festnahmen in Frankfurt heraus, während die Fußball WM als friedlich bezeichnet wurde - natürlich gab es in Wahrheit weitaus mehr Festnahmen und Prügeleien bei Fußball Fans als bei Studenten.
APO ... lässt mich auch an RAF denken und den "deutschen Herbst". Eine Radikalisierung der Bewegung ist aber heute wie damals der falsche Weg ... auch wenn heute von Seiten der Reaktion gerne mal versucht wird, die Protestbewegung zu spalten und einen Teil in die radikale Ecke zu drängen und zu diskreditieren. Auch damals waren Gesetzesverschärfungen die Folge, genau wie in diesem Jahrhundert nach dem 11.9.2001 die Freiheit in der westlichen Welt weiter eingeschränkt wurde. Böse Zungen behaupten, der Westen wolle den Wettlauf mit den Islamisten gewinnen und die Freiheit hier abschaffen, bevor die "Mullahs" das schaffen können :-D
physioblues":319h6m4b schrieb:
Eine vertane Chance aus Bequemlichkeit ?
Oder sind die Studenten dieser Generation genauso visions-, engangements- und ideallos wie die Politiker ?
Ein Problem ist, dass ein Teil der Studenten dank reicher Eltern eben kein Problem mit den Gebühren hat. Der Anteil der Studierenden der einkommensschwachen Familien ist ja schon lange stetig gesunken, u. a. dank einem real sinkendem Bafög. Es ist auch so, dass insgesamt schon seit langem eine Entpolitisierung der Gesellschaft stattfindet, da sind aber auch die Medien und die Regierung selbst mit Schuld. Ein Teil der Studenten wird eben auch nur politisch aktiv, wenn es um Studiengebühren und -bedingungen geht - dabei geht es längst nicht mehr nur darum.
Die französische Schauspielerin Jeanne Moreau hat letztes Jahr in einem Interview einen Satz gesagt, den ich für sehr treffend halte und hier sinngemäß aus dem Gedächtnis wieder geben möchte: "1968 sind die Menschen auf die Straße gegangen und haben dafür gekämpft, die Gesellschaft zu verändern. Heute kämpfen sie nur noch darum, ein Teil der Gesellschaft sein zu dürfen."
Es ist traurig, aber so ist es oft wirklich. In der "Generation Praktikum" machen Akademiker mit guten Noten und zwei Fremdsprachen auch mal zwei kostenlose Praktika und dann ein Volontariat für einen Hungerlohn, nur um nachher einen Job zu bekommen, für den sie schlechter bezahlt werden als ein Maurer. Das ist leider oftmals Realität, ich hab das bei meinem ehemaligen Arbeitgeber selbst erlebt. Der Chef war übrigens ein Alt-68er und hat eben gedacht, er könnte mal ein wenig Kapitalismus spielen. Dass er genauso agiert, wie die, gegen die er damals kämpfte, ist ihm dabei leider nicht aufgefallen.
Es ist leider schon lange ein Problem von Teilen der Linken, dass sie einfach keine Ahnung von Ökonomie haben und daher in diesem Bereich blind sind und sich eben auf ihr "Ökogutmenschentum" konzentrieren. So konnte aus den Grünen das werden, was sie heute sind: Ein machtgieriger Haufen, der fast schon so überflüssig ist wie die FDP und einen Außenminister gestellt hat, der einen illegalen Angriffskrieg mitgetragen hat. Fischer neigte aber bekanntlich schon zu Frankfurter Spontizeiten zur Gewalt, das hat bei ihm Kontinuität.
Die Studenten alleine können aber sowieso kein gesellschaftliches Umdenken erreichen, das hat 1968 ja auch nicht geklappt. Die Arbeitslosen sind eine große Gruppe, die keinerlei Lobby hat. Eine "Gewerkschaft der Arbeitslosen" könnte das möglicherweise ändern. Diese müssten sich solidarisieren, dazu gerne noch alle, die sonst momentan besonders unter der unsozialen Politik zu leiden haben: Praktikanten, Zeitarbeiter, alle angehörige der unteren Lohngruppen, etc etc. Dann könnte man die Gesellschaft vielleicht ändern ... aber es wäre trotzdem noch sehr schwer.
Frank hat recht: Der Zusammenbruch der DDR und der Staaten des Warschauerpakt 1989 hatte weitreichende Konsequenzen für die Politik im Westen: Seitdem fehlt eine echte Systemkonkurrenz. Heute kann man so relativ problemlos den Sozialstaat abbauen und die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufklappen lassen - man muss den armen "Kommunisten" im Osten ja nicht mehr zeigen, dass es im Kapitalismus allen besser geht. Zudem hat die deutsche Wiedervereinigung bzw. eigentlich eher die feindliche Übernahme der DDR durch die BRD den deutschen Politikern ein Totschlagsargument beschert: Es sei kein Geld mehr da! Unterstützt wurde das durch eine Propaganda, die den Bürgern suggerierte, Westdeutschland hätte sich mit einem Entwicklungsland vereinigt. Dies ist fern der Realität, die DDR als Aushängeschild des Ostens war wirtschaftlich in etwa auf dem Niveau eines südlichen EU-Landes wie Spanien.
"Es ist kein Geld mehr da": Das ist natürlich einfach falsch. Natürlich ist Geld da beim Exportweltmeister, in Massen sogar, obwohl ein Teil des Volksvermögens der ehemaligen DDR viel zu billig an Investoren verschachert wurde. Das Geld muss nur eingesammelt und an die richtigen Stellen geleitet werden. Das passiert aber nicht, stattdessen gibt es Steuergeschenke für die Industrie, obwohl die Erfahrung zeigt, dass diese Art von Wirtschaftspolitik nicht funktioniert: Die Wirtschaft nimmt lieber die Gewinne mit, anstatt neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Viele Menschen machen den Fehler, einen Vergleich zwischen dem Schuldenberg der Volkswirtschaft der BRD und den Schulden eines privaten Haushaltes oder einer Firma zu ziehen. Dieser Vergleich ist aber nicht zulässig. Deutschland wird natürlich niemals Pleite gehen, weder für uns noch für unsere Enkel sind diese Schulden ein Drama. Seltsamerweise sind viel finanzschwächere Staaten trotz diverser wirklich ernster Krisen niemals Pleite gegangen, weder Mexico noch Argentinien etc ... Internationale Verflechtungen und Wirtschaftsbeziehungen, Weltbank usw usw lassen überhaupt nicht zu dass irgendein Land jemals pleite geht, schon gar nicht ein Land von der (wirtschaftlichen) Bedeutung Deutschlands.
Die Verschuldung Deutschlands ist längst nicht das Problem, zu dem sie durch Propaganda von Staat und Wirtschaftslobbyisten aufgebauscht worden ist. Die Folgen werden zu einem Problem werden, denn durch die Einsparungen (oft noch an den falschen Stellen) schränkt der Staat seinen Handlungsspielraum ein und schafft sich mit der Zeit quasi selbst ab. Die Binnenkonjunktur wird sich bei sinkenden Reallöhnen und Renten, Kürzungen von Sozialleistungen und einer in keinem Verhältnis zu den (wirtschaftlichen) Realitäten stehenden Zukunftsangst und einer damit verbundenen Konsumzurückhaltung kaum erholen können. Der Export alleine reicht aber auf Dauer nicht.
Es ist wirklich so: Studiengebühren sind genauso idiotisch wie Hartz IV und der ganze Sparwahn. Dadurch wird fast nichts besser, sondern fast alles schlechter. Jedenfalls für alle, die einkommensmäßig nicht zu den obersten 5-10 % zählen. Wir werden von einer (gerade wirtschaftspolitisch) unfähigen, korrupten Elite regiert, die diesen Namen nicht mehr verdient. Die Demokratie hat sehr mit den Folgen von starker Lobbypolitik, Machtgier und Parteifaschismus zu kämpfen. Welcher Abgeordnete hat den noch die Bodenhaftung, die Problem des kleinen Mannes zu erkennen und entscheidet im Parlament nach seinem Gewissen und nicht nach Parteidoktrin und Versprechungen seiner Lobby?
Kurz könnte man auch sagen: Politik ist heute zu einem Synonym für Bilanzfälschung geworden.