E
erniecaster
Power-User
- 19 Dez. 2008
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- 4.512
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Hallo!
Es gibt die These, dass man nicht denken kann, worüber man nicht sprechen kann. Das ist Grund genug, sich einmal mit ein bisschen Vokabular auseinander zu setzen.
Seit einiger Zeit stutze ich, wenn ein Begriff auftaucht: Dynamik. Sei es eine Gitarre, ein Effektgerät, ein Amp, eine Box oder eine Band. Lobend wird eine große Dynamik erwähnt, der Ton wird tadelnd, wenn mangelnde Dynamik festgestellt wird. Je mehr Dynamik, desto besser.
Nur – was ist Dynamik eigentlich? Wikipedia sagt: Mit Dynamik wird in der Musik die Lehre von der Tonstärke (physikalisch: Lautheit) bezeichnet. Dann folgen die italienischen Bezeichnungen und Abkürzungen wie fortissimo bzw. ff.
Also geht es nach dieser Definition nur um unterschiedliche Lautstärke im musikalischen Vortrag. Das reicht aber meiner Meinung nach nicht aus. Schauen wir uns als Beispiel einmal ein billiges Keyboard an. In der untersten Preiskategorie bieten diese Instrumente keine Anschlagsdynamik. Drück die Taste, dann kommt der Ton, drück sie nicht, dann kommt keiner. Wenn das Keyboard immerhin „anschlagsdynamisch“ ist, bedeutet das im Regelfall, dass man eine Taste unterschiedlich stark anschlägt und der Ton ist mal leiser, mal lauter. Dynamisch halt. Bei einer Akustikgitarre wäre das dann so, als würde der Ton eben lauter oder leiser, je nach Anschlagsstärke. Oder ein Amp würde lauter oder leiser, je nach hinein geschicktem Signal.
Spannend wird es in den Grenzbereichen. Was passiert – um nicht mit einem komplexen System anzufangen – bei einer Akustikgitarre, wenn man die Anschlagsstärke immer mehr steigert?
Irgendwann gerät man in den Bereich der Sättigung. Die Gitarre „macht zu“ - bei Endstufen und Lautsprechern wird auch gerne der nicht salonfähige Begriff „kotzen“ verwendet.
Die Dynamik ist da am Ende, es wird nicht mehr lauter. Aber der Klang verändert sich. Und jetzt gerät die oben aufgestellte Gleichung, dass mehr Dynamik besser ist als weniger, ins Wanken. Was ist besser oder schlechter für ein ausdrucksstarkes Spiel, was muss ein Instrument bieten? Soll es tatsächlich nur lauter und leiser werden oder will ich eine Klangveränderung?
Machen wir es komplizierter und nehmen eine E-Gitarre und einen Combo. (Den Combo sehen wir erst einmal als Einheit, ohne ihn in Vorstufe, Endstufe, Speaker und Gehäuse aufzuteilen.) Stellen wir uns einmal vor, der Klang würde abhängig von der Anschlagsstärke stets gleich bleiben, lediglich in der Lautstärke schwanken, das Volumenpoti würde eben leiser und lauter machen – im Sinne der eigentlichen Definition von Dynamik. Die von uns so geschätzte Verzerrung würde ausbleiben – das ist erst einmal das typische Verhalten eines Transistoramps, bevor er ins Clipping gerät.
Den Begriff „Verzerrung“ finde ich dabei wenig hilfreich. Wenn wir die wörtliche Übersetzung des Begriffes „Overdrive“, also Übersteuerung benutzen und uns vielleicht sogar zu der etwas sperrigen Vokabel „Übersättigung“ hinreißen lassen, wird es meiner Meinung nach klarer.
Lustigerweise hat sich der Begriff „Gain“ eingebürgert. Wörtlich übersetzt „Gewinn“. Was passiert denn, wenn man Gain bei einem Gitarrenamp aufdreht? Der Lautstärkezuwachs wird geringer oder bleibt ganz aus, der Ton übersättigt und verändert sich nur noch klanglich. Anders formuliert, formt der Gitarrist mittels Anschlag und Volumenpoti die Verzerrung, es findet kein „Gewinn“ an Lautstärke mehr statt sondern eine weitere „Übersättigung“.
Bedeutet das letzten Endes, dass weniger Dynamik das ist, was viele Gitarristen wollen?
Im Moment haben wir noch zwei Glieder in der Soundkette, die E-Gitarre und den Combo - schauen wir uns das getrennt an. Die Gitarre gibt die Signale in den Amp, der sie verarbeitet. Wenn der Amp jetzt über die Dynamikstufen der Gitarre kontrolliert in verschiedene Grade der Sättigung geraten soll, sollte die Gitarre also möglichst dynamisch, der Amp aber spätestens ab einem gewissen Punkt gerade möglichst undynamisch sein? Das reicht als Ergebnis nicht aus, führt aber zu der Frage ob der Zuwachs an Verzerrung noch mit einem Lautstärkezuwachs einhergehen soll und wie hoch der gegebenenfalls sein soll.
Und wenn wir jetzt schon beim Zweifeln sind, dann stellt sich die Frage, ob unabhängig von Verzerrung Dynamik - also die Veränderung der Lautstärke - überhaupt erwünscht ist? Will ich beispielsweise für einen möglichst gleichbleibenden Rhythmus nicht sogar eine konstante Lautstärke? Wenn Dynamik so grandios ist, warum gibt es dann überhaupt Kompressoren, die ja nichts anderes tun als die Dynamik einzugrenzen?
Die Gleichung „je dynamischer, desto besser“ geht nicht auf. Es geht um das Spiel von Dynamik und Kompression, das uns musikalischen Ausdruck ermöglicht. Ich empfinde es sowohl als zutiefst langweilig, wenn gar nichts komprimiert als auch als frustrierend, wenn es kaum Dynamik gibt. Die Frage, was da eigentlich gerade passiert, führt dazu, hinzuhören.
Vielleicht klingt das für viele sehr theoretisch. Wenn man sich als Musiker aber damit beschäftigt, landet man irgendwann bei der Frage, wie man eigentlich klingen möchte und es ist nie verkehrt, darüber ein wenig nachzudenken.
Gruß
erniecaster
Es gibt die These, dass man nicht denken kann, worüber man nicht sprechen kann. Das ist Grund genug, sich einmal mit ein bisschen Vokabular auseinander zu setzen.
Seit einiger Zeit stutze ich, wenn ein Begriff auftaucht: Dynamik. Sei es eine Gitarre, ein Effektgerät, ein Amp, eine Box oder eine Band. Lobend wird eine große Dynamik erwähnt, der Ton wird tadelnd, wenn mangelnde Dynamik festgestellt wird. Je mehr Dynamik, desto besser.
Nur – was ist Dynamik eigentlich? Wikipedia sagt: Mit Dynamik wird in der Musik die Lehre von der Tonstärke (physikalisch: Lautheit) bezeichnet. Dann folgen die italienischen Bezeichnungen und Abkürzungen wie fortissimo bzw. ff.
Also geht es nach dieser Definition nur um unterschiedliche Lautstärke im musikalischen Vortrag. Das reicht aber meiner Meinung nach nicht aus. Schauen wir uns als Beispiel einmal ein billiges Keyboard an. In der untersten Preiskategorie bieten diese Instrumente keine Anschlagsdynamik. Drück die Taste, dann kommt der Ton, drück sie nicht, dann kommt keiner. Wenn das Keyboard immerhin „anschlagsdynamisch“ ist, bedeutet das im Regelfall, dass man eine Taste unterschiedlich stark anschlägt und der Ton ist mal leiser, mal lauter. Dynamisch halt. Bei einer Akustikgitarre wäre das dann so, als würde der Ton eben lauter oder leiser, je nach Anschlagsstärke. Oder ein Amp würde lauter oder leiser, je nach hinein geschicktem Signal.
Spannend wird es in den Grenzbereichen. Was passiert – um nicht mit einem komplexen System anzufangen – bei einer Akustikgitarre, wenn man die Anschlagsstärke immer mehr steigert?
Irgendwann gerät man in den Bereich der Sättigung. Die Gitarre „macht zu“ - bei Endstufen und Lautsprechern wird auch gerne der nicht salonfähige Begriff „kotzen“ verwendet.
Die Dynamik ist da am Ende, es wird nicht mehr lauter. Aber der Klang verändert sich. Und jetzt gerät die oben aufgestellte Gleichung, dass mehr Dynamik besser ist als weniger, ins Wanken. Was ist besser oder schlechter für ein ausdrucksstarkes Spiel, was muss ein Instrument bieten? Soll es tatsächlich nur lauter und leiser werden oder will ich eine Klangveränderung?
Machen wir es komplizierter und nehmen eine E-Gitarre und einen Combo. (Den Combo sehen wir erst einmal als Einheit, ohne ihn in Vorstufe, Endstufe, Speaker und Gehäuse aufzuteilen.) Stellen wir uns einmal vor, der Klang würde abhängig von der Anschlagsstärke stets gleich bleiben, lediglich in der Lautstärke schwanken, das Volumenpoti würde eben leiser und lauter machen – im Sinne der eigentlichen Definition von Dynamik. Die von uns so geschätzte Verzerrung würde ausbleiben – das ist erst einmal das typische Verhalten eines Transistoramps, bevor er ins Clipping gerät.
Den Begriff „Verzerrung“ finde ich dabei wenig hilfreich. Wenn wir die wörtliche Übersetzung des Begriffes „Overdrive“, also Übersteuerung benutzen und uns vielleicht sogar zu der etwas sperrigen Vokabel „Übersättigung“ hinreißen lassen, wird es meiner Meinung nach klarer.
Lustigerweise hat sich der Begriff „Gain“ eingebürgert. Wörtlich übersetzt „Gewinn“. Was passiert denn, wenn man Gain bei einem Gitarrenamp aufdreht? Der Lautstärkezuwachs wird geringer oder bleibt ganz aus, der Ton übersättigt und verändert sich nur noch klanglich. Anders formuliert, formt der Gitarrist mittels Anschlag und Volumenpoti die Verzerrung, es findet kein „Gewinn“ an Lautstärke mehr statt sondern eine weitere „Übersättigung“.
Bedeutet das letzten Endes, dass weniger Dynamik das ist, was viele Gitarristen wollen?
Im Moment haben wir noch zwei Glieder in der Soundkette, die E-Gitarre und den Combo - schauen wir uns das getrennt an. Die Gitarre gibt die Signale in den Amp, der sie verarbeitet. Wenn der Amp jetzt über die Dynamikstufen der Gitarre kontrolliert in verschiedene Grade der Sättigung geraten soll, sollte die Gitarre also möglichst dynamisch, der Amp aber spätestens ab einem gewissen Punkt gerade möglichst undynamisch sein? Das reicht als Ergebnis nicht aus, führt aber zu der Frage ob der Zuwachs an Verzerrung noch mit einem Lautstärkezuwachs einhergehen soll und wie hoch der gegebenenfalls sein soll.
Und wenn wir jetzt schon beim Zweifeln sind, dann stellt sich die Frage, ob unabhängig von Verzerrung Dynamik - also die Veränderung der Lautstärke - überhaupt erwünscht ist? Will ich beispielsweise für einen möglichst gleichbleibenden Rhythmus nicht sogar eine konstante Lautstärke? Wenn Dynamik so grandios ist, warum gibt es dann überhaupt Kompressoren, die ja nichts anderes tun als die Dynamik einzugrenzen?
Die Gleichung „je dynamischer, desto besser“ geht nicht auf. Es geht um das Spiel von Dynamik und Kompression, das uns musikalischen Ausdruck ermöglicht. Ich empfinde es sowohl als zutiefst langweilig, wenn gar nichts komprimiert als auch als frustrierend, wenn es kaum Dynamik gibt. Die Frage, was da eigentlich gerade passiert, führt dazu, hinzuhören.
Vielleicht klingt das für viele sehr theoretisch. Wenn man sich als Musiker aber damit beschäftigt, landet man irgendwann bei der Frage, wie man eigentlich klingen möchte und es ist nie verkehrt, darüber ein wenig nachzudenken.
Gruß
erniecaster